„Man ist so jung, wie man sich
fühlt“, sagt der Volksmund. Da ist sicher etwas dran. Doch wenn
ich in die Bibel sehe, dann wird mir deutlich, dass Gott dem Menschen
bestimmte Lebensphasen zugedacht hat. Da gibt es einfach
Unterschiede. Und das ist gut so. Dennoch ist es manchmal nötig, dass wir uns neu mit unserer jeweiligen Lebensphase, in der wir gerade
stehen, auseinandersetzen.
„Der Mensch charakterisiert sich
immer neu. Seine körperlich-seelischen Zustände wechseln
beständig“, schreibt Romana Guardini in seinem Buch „Die
Lebensalter“.
Wir wissen, dass wir im Laufe unseres
Lebens verschiedene Phasen durchlaufen, die wir mehr oder weniger gut
meistern. Wir haben die Erfahrung von Krisen gemacht, haben gelernt,
mit Situationsänderungen umzugehen - oder auch nicht. Je nachdem, ob
wir in der Lage sind, unsere Lebensphasen in ihrer
Unterschiedlichkeit anzunehmen oder nicht, werden wir zu reifen,
weisen Menschen oder zu verbitterten Alten.
Die Lebensphasen
Jede Lebensphase hat ihren eigenen
Charakter, der so stark betont werden kann, dass es unter Umständen
für den Menschen schwer wird, aus ihr in die nächste Phase
überzuwechseln. Wir sehen das an infantilen Erwachsenen, die nicht
erwachsen werden wollen genauso wie an Greisen, die sich im Outfit
eines Teenies präsentieren und damit demonstrieren, dass sie nicht
80, sondern 20 Jahre alt sein möchten. Auch den umgekehrten Weg
kennen wir: Da wird bereits ein Kind derart in die Erwachsenenwelt
hineingeordnet, dass es gar keine Chance hat, sich seinem Wesen nach
zu entfalten, Kind zu sein (z.B. in Zeiten der wirtschaftlichen Not,
in denen auch Kinder arbeiten müssen).
Neben diesen Extremen kennen wohl die
meisten von uns das kleine Erschrecken: „Ich werde älter! Ich muss
mit meinen Kräften haushalten, kann nicht mehr so wie früher. Man
braucht mich nicht mehr so sehr. Die Kinder sind erwachsen. Was wird
aus mir? Im Beruf werden die Jüngeren vorgezogen. Kraft und
Durchhaltevermögen ist gefragt. Nur nicht schlappmachen, sonst bin
ich out!“
Was hat es eigentlich mit unseren
unterschiedlichen Lebensphasen auf sich? Und was sagt die Bibel dazu?
Wie lernen wir, mit der neuen Lebensphase umzugehen, in die wir
vielleicht gerade gewechselt sind?
Mit Hilfe des Buches von Romano
Guardini „Die Lebensalter“ beschreibe ich im Folgenden die
verschiedenen Phasen des menschlichen Lebens:
Unser Leben beginnt bereits im
Mutterleib. Gott formt und sieht den Menschen und hat bereits eine
Beziehung zu ihm. Psalm 139 macht uns das sehr schön deutlich.
(Verse 13 u. 16).
Die Kindheit beginnt mit der
Geburt und reicht bis ca. 12 Jahre.
Jesus selbst misst den Kindern ein
großes Gewicht zu. Sie werden dem Glaubenden als Vorbild hingestellt
(„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder...“) und er segnet sie im
Beisein Erwachsener, die das als Störung empfinden. Kinder im Reich
Gottes sind wertvoll, Gott braucht Kinder für sein Lob (Ps. 8, 4).
Die Jahre 12 bis 15 sind die Phase der
Pupertät, der Reifung. Diese Phase wird vielfach als Krise
empfunden, da körperlich und seelisch ein großer Umschwung
stattfindet.
Das Alter 15-28 Jahre wird als
Phase des Jungen Menschen bezeichnet. In dieser Zeit scheint
dem Menschen die ganze Welt offenzustehen. Er hat das Gefühl, seine
Kraft sei unbegrenzt, er werde Großes leisten, es komme nur auf die
richtige Gesinnung an, dann würde sich schon alles ändern. Diesem
positiven Grundcharakter steht der Mangel an Erfahrung gegenüber.
Dadurch neigt der junge Mensch zu Kurzschlusshandlungen und
-urteilen. Jetzt werden Lebenswerte festgelegt, dem Leben wird eine
Richtung gegeben.
Der Prediger (Bibel) fordert den jungen
Menschen auf: „Du, junger Mensch, genieße deine Jugend und freu
dich in der Blüte deines Lebens! Tu, was dein Herz dir sagt und was
deinen Augen gefällt!“, hat aber auch die Warnung parat: „Aber
sei dir bewusst, dass Gott dich für alles zur Rechenschaft ziehen
wird!“ (Pred. 11, 4) Und Prediger 12, 1: „Denk schon als junger
Mensch an deinen Schöpfer, bevor die beschwerlichen Tage
kommen...“Das ist eine Aufforderung zum bewussten Leben, seine Zeit
nicht zu vertun, sondern dem Leben eine Richtung zu geben.
Zwischen 28 u.31 Jahren stößt
der Mensch dann vermehrt an Grenzen, erlebt bewußt einen Konflikt
zwischen dem, was er sich wünscht und glaubt, dass es sich auch
erfüllt, und dem, was sich in der Realität zeigt. So einfach, wie
man gedacht hat, lassen sich die Dinge nicht ändern. Dieselbe
Erfahrung macht man in dieser Zeit oft auch in Bezug auf sich selbst:
Das Richtige zu wissen bedeutet noch lange nicht, das Richtige zu
tun. Das Gefühl des Versagens kann in dieser Zeit besonders stark
sein. Bei vielen von uns fällt in diese Zeit die Erfahrung des
Elternwerdens. Dadurch hat man oft das Gefühl, über sich selbst
hinauswachsen zu müssen, um alles zu schaffen.
Diese Krise zwingt förmlich zu einem
großen Schritt voran in die Mündigkeit des Menschen (31-
45J.). Dabei ist nicht die juristische Mündigkeit gemeint,
sondern die Entdeckung des Menschen, was es heißt, stehen zu können,
Charakter zu haben. Zuverlässigkeit, Stehen zu seinem Wort, Treue
gegenüber dem, der Vertrauen in uns setzt, das unbeirrbare Gefühl
dafür, was Recht und Unrecht ist bekommen jetzt eine Bedeutung.
Neues wird geschaffen auf dem Hintergrund bisheriger Erfahrungen.
Diese Lebensphase erleben viele als sehr kreativ und produktiv. Wir
haben genügend Kraft, um den Anforderungen gerecht zu werden. Wir
wissen weitgehend, was wir wollen und erleben Akzeptanz in
Gesellschaft und Gemeinde/Kirche. Wir merken, dass unsere Meinung und
unsere Fähigkeiten gefragt sind. Es ist die Phase der vollen Kraft.
Jetzt ist der Mensch am meisten bereit, Lasten auf sich zu nehmen,
sich viel Arbeit zuzumuten, Kraft und Zeit zu investieren, ohne zu
sparen.
Doch wieder folgt eine Art Krise. Ab
etwa 45 J. merkt der Mensch immer mehr die Grenzen seiner
Kraft. Er scheint nicht mehr der Jüngste zu sein und erfährt,
dass es auch ein Zuviel geben kann. Es stellt sich die Erfahrung der
Arbeitsmüdigkeit ein. Die Illusionen vergehen, das Leben bekommt den
Charakter des Bekannten. Der Mensch stellt ernüchtert fest, dass das
Leben manches nicht gehalten hat, was es versprochen hat. Wohl dem,
der gelernt hat, unter dem Schutz und den tragenden Händen Gottes zu
leben. In dieser Phase wird der Mensch besonders das Wissen um Gottes
Tragkraft brauchen. Denn die Kinder sind nun erwachsen geworden, sie
„brauchen“ uns nicht mehr. Vielleicht werden wir Großeltern, ein
Generationswechsel findet statt. Wer diese Krise nicht positiv
durchlebt und zur Reife findet, wird bitter. Menschen, die der
verlorenen Jugend hinterher trauern, die sich betrogen fühlen, weil
ihre Spannkraft nachgelassen hat und ihnen oft der Elan fehlt, legen
den Grundstein für ein Altwerden in Verbitterung und geheimen Zorn
auf alles, was jung und kraftvoll ist.
Dagegen steht der reife Mensch (50 -
63 J.). Wer zur Reife gefunden hat, auf den kann sich das Dasein
verlassen. Reife Menschen, die ihr Leben von Gott her bestimmen
lassen, sind die Väter und Mütter im Glauben, die die junge
Gemeinde braucht. Ein reifer Mensch ist in der Lage, aus einer guten
Art der Überlegenheit Gewähr zu geben. Er ist viel eher in der Lage
zu verzeihen als der jüngere Mensch, denn er hat bereits den nötigen
Abstand zu den Dingen.
Die Krise, die nach ca. 63 J.
einsetzt, nennt R. Guardini den Vorgang der Loslösung. Eine neue
Erfahrung setzt ein, nämlich das Bewusstwerden des Endes.
Durch das Gefühl der eigenen Grenzen
an Kraft und Durchhaltevermögen wird die Tatsache den Endes mehr
bewußt als je zuvor. Das Leben scheint immer schneller zu gehen. In
dieser Lebenskrise entsteht vielfach der alte Mensch im schlimmen
Sinne, d.h. der Mensch, der nicht altern will. Die Folgeerscheinungen
sind Geltungssucht, Tyrannisierung der Umgebung, seniler Eigensinn.
Die positive Entwicklung besteht in
der Annahme des Alterns. Dazu gehört z.B. Die Überwindung
- des Neides gegen die Jungen,
- die Vorbehalte gegen das Neue,
- die Schadenfreude über Mängel und das Mißlingen der Geschehnisse um den Menschen herum (das Jüngere zu erantworten haben.)
Wenn das geschieht, dann entsteht das
Lebensbild des weisen Menschen (67 - 80 J. u.älter).
Das ist der Mensch, der um das Ende weiß und es annimmt. Dadurch
kommt in seine Haltung etwas Ruhiges, Überlegeneres. Der weise
Mensch hat die Unterscheidung von Wichtig und Unwichtig. Er packt
nicht mehr an, sondern er „strahlt aus“. Er macht den Sinn
deutlich, im gleichen Maße, wie seine Kraft nachläßt.
Die Werte des Alterns fehlen heute fast
völlig in unserem Lebensbild. Die Weisheit in ihren verschiedenen
Formen, das Achten und Wertschätzen der alt gewordenen Person haben
keinen Platz mehr in unserer Gesellschaft. Was Kraft hat, das zählt.
Das hat auch zur Folge, dass echte
Kindheit nicht mehr anerkannt wird. Das Kind soll möglichst schnell
erwachsen werden, um Wert für die Gesellschaft zu haben.
Fazit
Die Tatsache, dass es so viele Menschen
gibt, die mit ihren unterschiedlichen Lebensphasen nicht zurecht
kommen, liegt nicht zuletzt an den verschobenen Werten unserer
Umwelt. Gott hat sich das ganz anders vorgestellt. Für ihn ist der
Mensch in jeder Phase von hoher Bedeutung. Er hat uns einander
zugeordnet, damit wir diese Bedeutung erkennen. Zum einen wird es für
jeden von uns wichtig sein, die eigene Lebensphase zu akzeptieren,
zum anderen aber auch um die Lebensphase wissen, in der die Menschen
sich befinden, mit denen wir zusammenleben. Wir sollten bereit sein,
ihre Chancen und Möglichkeiten anzuerkennen. Gott ist es wichtig,
dass wir wachsen und nicht stehenbleiben, sondern sozusagen im Gehen lernen, ohne Vergangenem hinterher zu
trauern. Doch auch zu große Schritte sind unangemessen.
Die Frage für jeden von uns sollte
sein: Wie durchlebe ich meine derzeitige Lebensphase so, dass ich
dabei ein für Gott und meinen Nächsten wertvoller Hinweis bin auf
Sinn, Gestaltung und Ziel des menschlichen Lebens?
Wir sollten jede Phase akzeptieren und
auskosten, nicht vertun, sondern sie mit unserer Person ganz
ausfüllen, so dass wir irgendwann mit Hiob 42, 17 sagen können:
Schließlich starb er in hohem Alter nach einem reichen und
erfüllten Leben.
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