Freitag, 17. November 2017

Brief an meinen Vater

Ich habe etwas gefunden: Einen Brief an meinen Vater, den ich bereits vor 12 Jahren geschrieben habe und in meinen Unterlagen hatte. Ich habe ihn noch einmal gelesen - und würde immer noch jeden Satz unterschreiben, den ich damals geschrieben habe.
Deshalb veröffentliche ich diesen Brief an dieser Stelle. Ich habe lediglich die Jahreszahl verändert - denn mittlerweile ist der Tod meines Vaters über 25 Jahre her!

  


Lieber Vati,
ich möchte dir gerne "Danke" sagen. Du würdest mich sicher fragen, wofür. Wenn du noch da wärest. Doch Gott hat dich bereits vor mehr als 25 Jahren zu sich genommen. Du warst nach menschlichem Ermessen viel zu jung für diesen Abschied für immer. Und ich damals zu sehr mit mir selbst beschäftigt, um mich irgendwo mitten im Alltag bei dir zu bedanken.

Wofür ich dir danken möchte?
Da war dein Glaube, diese tiefe Verbundenheit zu Gott, die Freundschaft zu Jesus. Du hast diese dir über alles wichtige Beziehung authentisch gelebt und warst mir darin ein Vorbild. Nicht nur Worte machten das deutlich, sondern deine ganze Haltung, dein Leben, mit dem du hinter dem gestanden hast, was du sagtest, wie du gehandelt hast. Das hat auf mich nie künstlich gewirkt, sondern sehr echt. Danke.
Dazu kam deine liebevolle Art, mit mir als "deinem kleinen Mädchen" umzugehen; ich spüre fast noch deine Hände, die mir über die Haare strichen und höre dein zärtliches, etwas langgezogenes und un-eiliges "Binlein..!"
Deine Großzügigkeit: Ich erinnere mich an mein erstes Schmuckstück, das ich von dir bekam. Nun war ich "groß". (Später erfuhr ich, dass es fürchterlich teuer gewesen ist. Aber ich hatte diesen Ring unbedingt haben wollen...) Als ich älter wurde, habe ich oft sehr genau überlegt, ob ich dich um etwas Materielles bitte, denn ich wusste, dass du versuchen wirst, alles möglich zu machen, auch wenn es dir finanziell schwer fällt.
Ich wusste, dass ich jederzeit mit allem, was mich betraf an Sorgen oder Freuden, zu dir kommen konnte. Du hast immer zugehört, auch wenn du eigentlich keine Zeit hattest. Manchmal sah ich, wie du gewartet hast, dass ich komme. Du hast dann in deinem Seesel gesessen und zu mir herüber geschaut, als wolltest du sagen: „Ist irgendwas? Dann komm doch einfach!“ Ich habe diese Chance viel zu selten genutzt. Ich glaube, mir waren meist deine Erklärungen zu lang. Ich war viel zu ungeduldig.
Die Art und Weise, wie du unsere Mutter geliebt hast, hat mir für meine spätere Partnerschaft sehr viel bedeutet. Ich sah deine Achtung vor der Weiblichkeit deiner Frau und später auch vor der meinen. Das hat mein Bild von mir als Frau, meine Identität, nachhaltig geprägt. Ich konnte spüren, dass du die Ehe als etwas dir von Gott Anvertrautes erlebtest. Du hast es verstanden, Schwierigkeiten und Unstimmigkeiten, die ihr (das nehme ich einfach mal an) auch miteinander hattet, nicht vor uns Kindern auszutragen. Ihr habt die Dinge irgendwie allein wieder in Ordnung gebracht, ohne uns damit zu belasten und zu überfordern. Danke!

Deine Familie war dir zu jeder Zeit wichtig. Das glaube ich auch von der Zeit zu erinnern, in der du beruflich überbeansprucht gewesen bist. Du hattest zeitweise zwei Jobs, weil das Geld nicht reichte. Und doch hast du, anstatt deine wohlverdiente Ruhe einzufordern, dich nach Arbeitsschluss auch noch uns Kindern gewidmet. Manchmal bist du dann mitten im Gesellschaftsspiel eingeschlafen...
Du warst es, der uns jeden Morgen (bis zum Abitur) das Frühstück zurecht machte, weil Mutti kein Frühaufsteher war. Danke!
Ein Powermann bist du nie gewesen. Heute, aus dem Abstand, denke ich manchmal, dass du oft überfordert gewesen sein musst. Denn du hast nicht nur in der Familie und im Beruf alles gegeben, sondern auch in der Gemeinde. Jeder wusste, dass er sich auf dich verlassen konnte. Du warst einfach da, auch wenn alle anderen einen Vorwand hatten, nicht zu erscheinen.
Mutti hat sich manchmal etwas genervt über deine perfektionistische Ader geäußert. Was du anpacktest, wolltest du "richtig" tun. Und warst dir selber oft nicht gut genug.

Ich würde dir heute gern sagen, dass du es "gut gemacht" hast. Sehr gut sogar. Denn was hat ein Vater Besseres weiterzugeben als seine bedingungslose Liebe, die nichts einfordert und nur gibt? 

Heute würde ich gerne von dir wissen wollen, ob du selbst nicht manchmal dabei etwas zu kurz gekommen bist. Hast du es mit uns, mit mir, auch genossen? Ich denke, du würdest "Ganz bestimmt!" sagen, auch wenn du dich mit eigenem Genuss manchmal etwas schwer tatest.
Danken möchte ich dir auch für unser letztes gemeinsames Erlebnis, für unseren letzten gemeinsamen Urlaub. Ich glaube, du warst nach dem Tod von Mutti entsetzlich einsam. Doch du bemühtest dich, mit uns und unseren damals 5 Kindern eine fröhliche Zeit zu verbringen. Du hast mit deinen Enkeln getobt, gebadet, Fußball gespielt... Du hast ihnen am Lagerfeuer oder im Schein von flackernden Kerzen in gedämpften Ton spannende Geschichten erzählt... Du hast den Trubel und das Kinder-Chaos geduldig ertragen, all das, obwohl der Tod deiner Frau gerade erst drei Monate her gewesen ist...
Dennoch und bei allem positiven Wollen und nach vorne Sehen bist du dann ziemlich genau ein Jahr nach ihrem Tod ebenfalls gegangen – einfach eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht.
Mit 63 Jahren. Viel zu früh für mich. Wohl gerade richtig für dich.
Danke, Vati, du bist mir bis heute ein Vorbild im Glauben. Und ein Hinweis auf Gott, meinen Vater im Himmel.
Deine Tochter Sabine 

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