Donnerstag, 23. November 2017

Liebling, auch wir werden älter...




„Man ist so jung, wie man sich fühlt“, sagt der Volksmund. Da ist sicher etwas dran. Doch wenn ich in die Bibel sehe, dann wird mir deutlich, dass Gott dem Menschen bestimmte Lebensphasen zugedacht hat. Da gibt es einfach Unterschiede. Und das ist gut so. Dennoch ist es manchmal nötig, dass wir uns neu mit unserer jeweiligen Lebensphase, in der wir gerade stehen, auseinandersetzen.
„Der Mensch charakterisiert sich immer neu. Seine körperlich-seelischen Zustände wechseln beständig“, schreibt Romana Guardini in seinem Buch „Die Lebensalter“.

Wir wissen, dass wir im Laufe unseres Lebens verschiedene Phasen durchlaufen, die wir mehr oder weniger gut meistern. Wir haben die Erfahrung von Krisen gemacht, haben gelernt, mit Situationsänderungen umzugehen - oder auch nicht. Je nachdem, ob wir in der Lage sind, unsere Lebensphasen in ihrer Unterschiedlichkeit anzunehmen oder nicht, werden wir zu reifen, weisen Menschen oder zu verbitterten Alten.

Die Lebensphasen
Jede Lebensphase hat ihren eigenen Charakter, der so stark betont werden kann, dass es unter Umständen für den Menschen schwer wird, aus ihr in die nächste Phase überzuwechseln. Wir sehen das an infantilen Erwachsenen, die nicht erwachsen werden wollen genauso wie an Greisen, die sich im Outfit eines Teenies präsentieren und damit demonstrieren, dass sie nicht 80, sondern 20 Jahre alt sein möchten. Auch den umgekehrten Weg kennen wir: Da wird bereits ein Kind derart in die Erwachsenenwelt hineingeordnet, dass es gar keine Chance hat, sich seinem Wesen nach zu entfalten, Kind zu sein (z.B. in Zeiten der wirtschaftlichen Not, in denen auch Kinder arbeiten müssen).

Neben diesen Extremen kennen wohl die meisten von uns das kleine Erschrecken: „Ich werde älter! Ich muss mit meinen Kräften haushalten, kann nicht mehr so wie früher. Man braucht mich nicht mehr so sehr. Die Kinder sind erwachsen. Was wird aus mir? Im Beruf werden die Jüngeren vorgezogen. Kraft und Durchhaltevermögen ist gefragt. Nur nicht schlappmachen, sonst bin ich out!“

Was hat es eigentlich mit unseren unterschiedlichen Lebensphasen auf sich? Und was sagt die Bibel dazu? Wie lernen wir, mit der neuen Lebensphase umzugehen, in die wir vielleicht gerade gewechselt sind?
Mit Hilfe des Buches von Romano Guardini „Die Lebensalter“ beschreibe ich im Folgenden die verschiedenen Phasen des menschlichen Lebens:

Unser Leben beginnt bereits im Mutterleib. Gott formt und sieht den Menschen und hat bereits eine Beziehung zu ihm. Psalm 139 macht uns das sehr schön deutlich.
(Verse 13 u. 16).

Die Kindheit beginnt mit der Geburt und reicht bis ca. 12 Jahre.
Jesus selbst misst den Kindern ein großes Gewicht zu. Sie werden dem Glaubenden als Vorbild hingestellt („Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder...“) und er segnet sie im Beisein Erwachsener, die das als Störung empfinden. Kinder im Reich Gottes sind wertvoll, Gott braucht Kinder für sein Lob (Ps. 8, 4).

Die Jahre 12 bis 15 sind die Phase der Pupertät, der Reifung. Diese Phase wird vielfach als Krise empfunden, da körperlich und seelisch ein großer Umschwung stattfindet.

Das Alter 15-28 Jahre wird als Phase des Jungen Menschen bezeichnet. In dieser Zeit scheint dem Menschen die ganze Welt offenzustehen. Er hat das Gefühl, seine Kraft sei unbegrenzt, er werde Großes leisten, es komme nur auf die richtige Gesinnung an, dann würde sich schon alles ändern. Diesem positiven Grundcharakter steht der Mangel an Erfahrung gegenüber. Dadurch neigt der junge Mensch zu Kurzschlusshandlungen und -urteilen. Jetzt werden Lebenswerte festgelegt, dem Leben wird eine Richtung gegeben.
Der Prediger (Bibel) fordert den jungen Menschen auf: „Du, junger Mensch, genieße deine Jugend und freu dich in der Blüte deines Lebens! Tu, was dein Herz dir sagt und was deinen Augen gefällt!“, hat aber auch die Warnung parat: „Aber sei dir bewusst, dass Gott dich für alles zur Rechenschaft ziehen wird!“ (Pred. 11, 4) Und Prediger 12, 1: „Denk schon als junger Mensch an deinen Schöpfer, bevor die beschwerlichen Tage kommen...“Das ist eine Aufforderung zum bewussten Leben, seine Zeit nicht zu vertun, sondern dem Leben eine Richtung zu geben.

Zwischen 28 u.31 Jahren stößt der Mensch dann vermehrt an Grenzen, erlebt bewußt einen Konflikt zwischen dem, was er sich wünscht und glaubt, dass es sich auch erfüllt, und dem, was sich in der Realität zeigt. So einfach, wie man gedacht hat, lassen sich die Dinge nicht ändern. Dieselbe Erfahrung macht man in dieser Zeit oft auch in Bezug auf sich selbst: Das Richtige zu wissen bedeutet noch lange nicht, das Richtige zu tun. Das Gefühl des Versagens kann in dieser Zeit besonders stark sein. Bei vielen von uns fällt in diese Zeit die Erfahrung des Elternwerdens. Dadurch hat man oft das Gefühl, über sich selbst hinauswachsen zu müssen, um alles zu schaffen.

Diese Krise zwingt förmlich zu einem großen Schritt voran in die Mündigkeit des Menschen (31- 45J.). Dabei ist nicht die juristische Mündigkeit gemeint, sondern die Entdeckung des Menschen, was es heißt, stehen zu können, Charakter zu haben. Zuverlässigkeit, Stehen zu seinem Wort, Treue gegenüber dem, der Vertrauen in uns setzt, das unbeirrbare Gefühl dafür, was Recht und Unrecht ist bekommen jetzt eine Bedeutung. Neues wird geschaffen auf dem Hintergrund bisheriger Erfahrungen. Diese Lebensphase erleben viele als sehr kreativ und produktiv. Wir haben genügend Kraft, um den Anforderungen gerecht zu werden. Wir wissen weitgehend, was wir wollen und erleben Akzeptanz in Gesellschaft und Gemeinde/Kirche. Wir merken, dass unsere Meinung und unsere Fähigkeiten gefragt sind. Es ist die Phase der vollen Kraft. Jetzt ist der Mensch am meisten bereit, Lasten auf sich zu nehmen, sich viel Arbeit zuzumuten, Kraft und Zeit zu investieren, ohne zu sparen.

Doch wieder folgt eine Art Krise. Ab etwa 45 J. merkt der Mensch immer mehr die Grenzen seiner Kraft. Er scheint nicht mehr der Jüngste zu sein und erfährt, dass es auch ein Zuviel geben kann. Es stellt sich die Erfahrung der Arbeitsmüdigkeit ein. Die Illusionen vergehen, das Leben bekommt den Charakter des Bekannten. Der Mensch stellt ernüchtert fest, dass das Leben manches nicht gehalten hat, was es versprochen hat. Wohl dem, der gelernt hat, unter dem Schutz und den tragenden Händen Gottes zu leben. In dieser Phase wird der Mensch besonders das Wissen um Gottes Tragkraft brauchen. Denn die Kinder sind nun erwachsen geworden, sie „brauchen“ uns nicht mehr. Vielleicht werden wir Großeltern, ein Generationswechsel findet statt. Wer diese Krise nicht positiv durchlebt und zur Reife findet, wird bitter. Menschen, die der verlorenen Jugend hinterher trauern, die sich betrogen fühlen, weil ihre Spannkraft nachgelassen hat und ihnen oft der Elan fehlt, legen den Grundstein für ein Altwerden in Verbitterung und geheimen Zorn auf alles, was jung und kraftvoll ist.

Dagegen steht der reife Mensch (50 - 63 J.). Wer zur Reife gefunden hat, auf den kann sich das Dasein verlassen. Reife Menschen, die ihr Leben von Gott her bestimmen lassen, sind die Väter und Mütter im Glauben, die die junge Gemeinde braucht. Ein reifer Mensch ist in der Lage, aus einer guten Art der Überlegenheit Gewähr zu geben. Er ist viel eher in der Lage zu verzeihen als der jüngere Mensch, denn er hat bereits den nötigen Abstand zu den Dingen.

Die Krise, die nach ca. 63 J. einsetzt, nennt R. Guardini den Vorgang der Loslösung. Eine neue Erfahrung setzt ein, nämlich das Bewusstwerden des Endes.
Durch das Gefühl der eigenen Grenzen an Kraft und Durchhaltevermögen wird die Tatsache den Endes mehr bewußt als je zuvor. Das Leben scheint immer schneller zu gehen.  In dieser Lebenskrise entsteht vielfach der alte Mensch im schlimmen Sinne, d.h. der Mensch, der nicht altern will. Die Folgeerscheinungen sind Geltungssucht, Tyrannisierung der Umgebung, seniler Eigensinn.

Die positive Entwicklung besteht in der Annahme des Alterns. Dazu gehört z.B. Die Überwindung
  • des Neides gegen die Jungen,
  • die Vorbehalte gegen das Neue,
  • die Schadenfreude über Mängel und das Mißlingen der Geschehnisse um den Menschen herum (das Jüngere zu erantworten haben.)
Wenn das geschieht, dann entsteht das Lebensbild des weisen Menschen (67 - 80 J. u.älter). Das ist der Mensch, der um das Ende weiß und es annimmt. Dadurch kommt in seine Haltung etwas Ruhiges, Überlegeneres. Der weise Mensch hat die Unterscheidung von Wichtig und Unwichtig. Er packt nicht mehr an, sondern er „strahlt aus“. Er macht den Sinn deutlich, im gleichen Maße, wie seine Kraft nachläßt.

Die Werte des Alterns fehlen heute fast völlig in unserem Lebensbild. Die Weisheit in ihren verschiedenen Formen, das Achten und Wertschätzen der alt gewordenen Person haben keinen Platz mehr in unserer Gesellschaft. Was Kraft hat, das zählt.
Das hat auch zur Folge, dass echte Kindheit nicht mehr anerkannt wird. Das Kind soll möglichst schnell erwachsen werden, um Wert für die Gesellschaft zu haben.

Fazit
Die Tatsache, dass es so viele Menschen gibt, die mit ihren unterschiedlichen Lebensphasen nicht zurecht kommen, liegt nicht zuletzt an den verschobenen Werten unserer Umwelt. Gott hat sich das ganz anders vorgestellt. Für ihn ist der Mensch in jeder Phase von hoher Bedeutung. Er hat uns einander zugeordnet, damit wir diese Bedeutung erkennen. Zum einen wird es für jeden von uns wichtig sein, die eigene Lebensphase zu akzeptieren, zum anderen aber auch um die Lebensphase wissen, in der die Menschen sich befinden, mit denen wir zusammenleben. Wir sollten bereit sein, ihre Chancen und Möglichkeiten anzuerkennen. Gott ist es wichtig, dass wir wachsen und nicht stehenbleiben, sondern sozusagen im Gehen lernen, ohne Vergangenem hinterher zu trauern. Doch auch zu große Schritte sind unangemessen.
Die Frage für jeden von uns sollte sein: Wie durchlebe ich meine derzeitige Lebensphase so, dass ich dabei ein für Gott und meinen Nächsten wertvoller Hinweis bin auf Sinn, Gestaltung und Ziel des menschlichen Lebens?

Wir sollten jede Phase akzeptieren und auskosten, nicht vertun, sondern sie mit unserer Person ganz ausfüllen, so dass wir irgendwann mit Hiob 42, 17 sagen können: Schließlich starb er in hohem Alter nach einem reichen und erfüllten Leben.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.